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Vom Geben und Geben

An Himmelfahrt dieses Jahr traf ich drei Mädchen in Bremen auf der Straße, die Musik spielten und Teile ihres Eigentums verkauften. Wir kamen ins Gespräch und ich bot ihnen an, ihre Geschichte im igdra space Blog und Podcast zu erzählen.

Im Juli trafen wir uns wieder, um die Geschichte gemeinsam zu verschriftlichen. Sie baten mich, sie für sie niederzuschreiben. Hier seht ihr das Ergebnis:


Wie es begann?


„Ich saß da auf der Straße und spielte auf meiner Ukulele, da hat ein Mann aus einem Auto ein 1€ Stück auf mich geworfen!“ sagt die 11jährige Mirke und scheint noch immer völlig überrascht von diesem Moment zu sein. Der Mann ahnte wohl nicht, dass er mit seiner Tat die Saat für ein gemeinnütziges Projekt zur Obdachlosenhilfe gesät hat.

Zuhause erzählte Mirke die Begebenheit ihrer großen Schwester, Runa. Diese wollte sowieso schon einen Flohmarkt eröffnen mit ihren vielen alten Spiel- und Anziehsachen. Und so kam es, dass sie an einem Sonntag im Sommer 2022 gemeinsam mit ihrer Freundin Vida die Idee hatten, die Straßenmusik von Mirke mit dem Flohmarkt zu verbinden. Sie setzten sich also gemeinsam auf die Straße vor den Laden Rat & Tat, musizierten und sprachen Passant:innen an, ob sie nicht Dinge von ihnen kaufen wollten. Der Ort war wohl gut gewählt, denn mit dem ersten eingenommenen Geld bemerkten sie, dass sie selbst das Geld ja gar nicht brauchten. Vielmehr wollten sie mit „Rat und Tat“ etwas Gutes damit tun und entschieden sich, das Geld, das sie einnahmen, den Obdachlosen in Bremen zu spenden. Damit war die Idee geboren. Vida, die sehr gern bastelt und Dinge mit ihren Händen anfertigt, hatte die Idee, nicht nur „alte Sachen und Musik“ zu verkaufen, sondern auch brauchbare Dinge wie Lesezeichen oder einfach schöne Dinge, wie bunte Ponpons herzustellen und den Menschen zu verkaufen. An zwei Tagen nahmen sie so bereits 90€ ein!


Was sie mit dem Geld vorhaben?

„Wir teilen es in drei“, sagte Runa. Ein Teil geht an die Suppenengel, wo Obdachlose kostenlos Essen erhalten, ein Teil geht an den Treffpunkt, wo Obdachlose Schutz finden und sich waschen können und einen Teil wollen die drei persönlich an die Obdachlosen überreichen.


Wieso sie gerade Obdachlosen helfen wollen?

„Wir können für arme Menschen in Afrika nicht viel tun. Aber wir können den armen Menschen hier in Bremen helfen, wo wir leben“. Und Obdachlose kennen die drei, seit sie auf der Welt sind. Schon ihre Eltern haben ihnen vorgelebt, Obdachlosen und Menschen allgemein zu helfen, wenn sie können. Und vor allem Runa ist wohl schon als kleines Kind durch ihren ausgeprägten Helferinnen- und Beschützerinneninstinkt aufgefallen. Sie setzte sich oftmals für die Schwachen ein und seit sie Taschengeld bekommt, kaufte sie schon ab und an Obdachlosen belegte Brötchen. Auch ihre Schwester erlernte früh die Freuden am Teilen, selbst im Ausland, ohne die Sprache zu sprechen, gab sie einem Straßenreiniger ein Stück ihres gekauften Eises.


Vida wirkt neben den beiden Schwestern eher ruhig und scheint die kreative Ideengeberin der Dreiergruppe zu sein. In Zukunft will sie gern auch Häkeln und ihre Kunstwerke verkaufen.

Alle drei haben in der kurzen Zeit bereits viel fürs Leben gelernt, was so manche*r wohl in einem ganzen Leben nicht lernt. „Es fühlt sich immer soooooo gut an, wenn man jemandem hilft“, sagt Runa. „Andere mit meiner Hilfe glücklich zu machen, fühlt sich an, als ob mir Flügel wachsen“. Doch schnell kommen wir auf die Motivationen des Helfens und daran geknüpfte Erwartungen zu sprechen. Es wird klar, dass die drei sich selbst gut kennen und nie ihren Selbstschutz vergessen. So wollten sie zu Beginn nicht gleich auf der großen Straße sitzen und von den Passant:innen „angeglotzt“ werden. Nein, sie suchten sich einen geschützten Ort und tasteten sich langsam vor. Fühlten erstmal in die neue Situation hinein. Auch gab Runa zu, dass sie manchmal Angst habe vor den Obdachlosen, wenn die wenig einladend auf der Straße stehen und um Geld betteln. Doch eine ihrer wichtigsten Botschaften an die Menschen ist, „ihr müsst keine Angst vor den Obdachlosen haben. Es sind ganz normale Menschen. Eben Menschen, die Unglück haben. Und mit einem Lächeln und etwas Geld kann man sie glücklicher machen.“ Das mit dem Lächeln haben die drei auch selbst schon bemerkt. Denn sie waren am meisten getroffen von den Menschen, die an ihnen vorbeigingen, ohne wenigstens einmal zu lächeln oder sie mit einem Blick zur Kenntnis zu nehmen. „Was glaubt ihr, wem es noch so geht?“ fragte Runas und Mirkes Mutter? „Den Obdachlosen selbst“ führt sie fort. „Auch sie leiden sicher oft darunter, wenn die Menschen sie ignorieren und noch nicht einmal sehen“. Die Mädchen schauen nachdenklich und verständnisvoll.


Doch ein wenig verletzt sind die drei auch, wenn sie Menschen helfen und diese undankbar sind. Altruismus leben sie also nicht. Sie handeln, um mit einem guten Gefühl belohnt zu werden. Etwas, das sich so manche*r Erwachsene*r nicht eingestehen will. Und auch ihr Geschäftssinn im Allgemeinen ist durch ihre Aktion gewachsen. So stellten sie fest, dass auch andere Menschen gern mehr Geld geben, wenn sie wissen, dass es für einen guten Zweck ist. So erzählte Vida, dass sie ihre alten Turnschuhe, die 30€ gekostet hatten, für 8€ angeboten hat und die Dame, die sie kaufte, gab ihnen sogar 10€ dafür. „Wir wollen den Leuten nichts aufdrängen. Aber dadurch, dass wir nicht einfach nur nach Spenden fragen, sondern auch etwas anbieten, geben sie mehr als sie nur für Spenden gegeben hätten oder nur für die Sachen, die wir verkaufen!“ Das Geld wollen sie persönlich an die Menschen der Suppenengel und des Treffpunkts überreichen. „Sie sollen wissen, wo es herkommt.“

Die drei Mädchen haben das System des Sozialunternehmertums sehr schnell verstanden.


Am Ende sagt Runa aber noch einmal: „Ich möchte den anderen Menschen vor allem mitgeben, wie sehr sie mit einem Lächeln und bloßem Sehen und Bemerken von anderen Menschen, diesen eine Große Freude machen können.“

Runa, Vida und Mirke passen wunderbar in den igdra space. Auch ihnen geht es in erster Linie um Begegnungen mit anderen Menschen auf Augenhöhe und darum, dass wir alle unsere Beziehungen zueinander positiv, bewusst, einladend und mit einem Lächeln gestalten.


Geschichte von Mirke, Vida und Runa

Geschrieben von Nora

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